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1. Januar 2021

Ich habe mich auf die 780 Kilometer virtuellen Jakobsweg Camino Frances gemacht.

Ich schaue aus dem Fenster und sehe graues Wetter. Links liegt neben mir der Rentenantrag, rechts eine neue Aufgabe, mit Stress, Ehrgeiz und hohem Blutdruck! Hinter mir liegen 64 Jahre und vor mir höre und lese ich nur Corona.

Aus Meter werden Kilometer und so vergehen Wochen und Monate.
Aus dieser Erkenntnis heraus schöpfe ich meinen Antrieb.


Immer wenn ich nach Hause komme, schreibe ich zwei/drei Wörter auf einen Zettel. Woran ich auf diesem Weg besonders gedacht habe.

Auf diese Weise wird ein kleiner Berg von Zetteln in den nächsten Wochen zusammenkommen und am Ende wird das eine richtige, kleine Geschichte ergeben. Wandernde Gedanken halt...


Im ganzen Januar hatte ich nicht einen Tag Sonnenschein. Fast jeden Tag Regen, Schneematsch oder sonstiger Matsch. Inzwischen ist mir das egal. Ich stampfe da mit meinen Stiefeln quer durch und fertig. Es ist ja nicht kalt, eher mild und gegen Regen bin ich abgedichtet.

Der Januar wäre geschafft.



Februar 2021

Jeden Tag Dreckwetter, unglaublich! Zum Glück gibt es diesen Jakobsweg und die netten Mitwanderinnen.

Das hat mir wirklich über diesen langen und düsteren Monat hinweggeholfen. 171 Kilometer habe ich gemacht. Und ich gehöre eher noch zu den langsamen. Die meisten sind aber auch jünger als ich.

Da hab ich doch wahrhaftig eine Yucca Palme am Weg gesehen. Muss wohl ein Spaßvogel eingegraben haben.

218 Kilometer habe ich inzwischen. Regen und nochmals Regen. Nur an einem Tag war etwas Sonne. Manche Wege sind kaum noch passierbar. Wasser ist überall.

Heiliger Jakob, lass endlich die Sonne scheinen... Nach inzwischen vielen Stunden unterwegs bekomme ich einen anderen Blick auf Details. Allerdings bin ich bei weitem nicht so der Fotograf wie andere.
Ich träume so durch die Gegend, halte Reden (still natürlich), entwickle Ideen und verwerfe sie. Baue Luftschlösser und reiße sie wieder ab und am nächsten Tag baue ich ein neues. Ich plane und verwerfe die Pläne. Aus bekannten alten Gedanken versuche ich neues zusammenzusetzen. Das ist so mein Ding!

Der Februar ist um. 300 Kilometer hab ich hinter mir.

März 2021

Die Zeit vergeht nun unglaublich schnell. Das Wetter ist jetzt nicht mehr so gleichmäßig wie im Januar. Da war jeden Tag Regen. Aber heute ging es los mit Sonne, dann Regen und dann Sonne.

Inzwischen kenne ich meine Umgebung besser als je zuvor. Ich weiß, wo welcher Hund wohnt und zu welcher Tageszeit welcher Hund samt Frauchen unterwegs ist.


Als ich heute diese kleine Botschaft aus dem Universum sah, habe ich an meine charmanten Mitwanderinnen gedacht.
Das große Universum verpackt in ein kleines Herz, das die Natur und kein Mensch erschaffen hat.

April 2021

Merkwürdige Begegnungen gibt es im Wald. Letzte Woche kam mir einer entgegen, der ein Federbett oder sehr großes Kissen mit sich herumschleppte.


Nach 55o km wäre ich am Cruz de Ferro. Traditionsgemäß legen christliche Pilger am Cruz de Ferro einen von zu Hause gebrachten Stein als Symbol der Mühen auf der Pilgerschaft ab. Manche bringen Briefe mit und befestigen sie am Kreuz. Das letztere werde ich machen. Einen Zettel vollschreiben mit Dingen, von denen ich dieses Jahr nix mehr hören will. Und dieser Zettel bekommt ein Ehrengrab in der hessischen Pampa!


Die letzten Meter sollten einen würdigen Abschluss bekommen. In letzter Konsequenz ist doch ein jeder mit sich alleine. Jeder Teilnehmer hat etwas Gewaltiges geleistet und ich werde mich immer gerne daran zurückerinnern.
Und alles begann mit dem ersten, ganz kleinen Schritt...

Ich bin ja auf meinen letzten Metern und meine Wahrnehmung gegenüber der Natur hat sich schon etwas geändert. Dank meiner Mitwanderinnen habe ich inzwischen gelernt, kleinen Dingen in der Natur mehr Aufmerksamkeit zu schenken und die Kamera im Handy mehr zu nutzen.
Bisher war die Kamera im Handy für mich unwichtig.


Mai und Ende

3.5.2021


Gesichter in Bäumen und Wolken erkennen.

Das musste ich erst mal googeln, was Pareidolien sind. Es sind das Resultat bewusst oder unbewusst hervorgerufener Fehldeutungen.

Jetzt hab ich nur noch 28 Kilometer.


Der Text, der heute bei mir in der GVC-Challenge stand, ist gut!


Schau zurück auf das, was du geleistet hast und frag dich, was du aus dieser Challenge für dich mitnehmen kannst. Vielleicht genügt dir der sportliche Aspekt. Vielleicht konntest du aber auch ein paar der Impulse für dich umsetzen und in deinen Alltag integrieren. Was auch immer dir der Camino Francés mitgegeben hat, nimm es dankbar an.
 


8.5.21

Das wars. Ganz unspektakulär habe ich heute die 780 Kilometer voll gemacht. An ca. 87 Tagen und 195 Stunden.
Eine milde Abendsonne und ein blauer Himmel bereiteten mir schöne letzte Minuten.
Danke an meine unsichtbaren Mitwanderinnen, die mich in die Mitte genommen haben.
Das war eine coole Aktion. Wenn ich später an Frühjahr 2021 denken werde, dann werden im Gedächtnis die schönen Dialoge und Bilder im Kopf sein und nicht Corona.